21.02.2023
Schatten und Licht in der Passionszeit - Gastbeitrag von Regionalbischöfin Friederike Spengler
Teil 2 unserer Serie in der Passionszeit.
Ich war noch Studentin, als ich in einem katholischen Gottesdienst zu Karfreitag das erste Mal einen liturgischen Dialog zwischen Jesus am Kreuz und der Gemeinde, sogenannte „Improperien“, erlebte.
„Mein Volk, mein Volk, was habe ich Dir getan, womit habe ich Dich beschwert? Antworte mir! Ich habe dir den Geist der Liebe gegeben, du aber hast dich nach der Macht ausgestreckt. Ich habe mich für dich ans Kreuz schlagen lassen, du aber hast dich mit Gewalt durchgesetzt.“
Über die theologische Frage – klagt Christus die Menschheit an? – kann man sicher trefflich streiten. Bei aller Skepsis, mich hat das Erlebnis tief berührt: „Passion“ heißt „Liebe und Leiden“, Leidenschaft, Leiden wegen der Liebe. Beides gehört zusammen. Das habe ich damals begriffen, und das erreicht mich auch in diesem Jahr.
Ich leide unter der Kriegsrhetorik dieser Tage. Und unter den sich aufbrezelnden neuen absoluten Wahrheitsansprüchen von „Sicherheit“ und „Abschreckung“. Ich will auch keine „Freund – Feind – Schubladen“ bedienen. Und schon gar nicht diese Schubladen auch noch abschließen. Und selbst wenn, hat nicht Jesus sogar die Liebe zum Feind vorgelebt und auch von mir gefordert? Was für eine Zumutung! Ich merke es immer wieder: Jesu Passion, seine Liebe-Leiden-Schaft für die Menschheit ist irre, revolutionär, gegen alle Logik, einfach nicht von dieser Welt. Aber sie ist für diese Welt!
Solche Liebe zu leben, sie in mein Handeln zu übersetzen, das gilt auch für die Passionszeit 2023. Und schon während ich es aufschreibe, ahne ich: Es ist und bleibt ein völlig unsicherer Weg, auf dem ich da unterwegs bin. Ein Weg des Ringens, Abwägens und (Selbst-)Zweifels. Mehr Fragen als Antworten. Die Sonntage der Passionszeit zählen rückwärts. Sie haben Ostern bereits im Blick. Und im Russischen heißt „Sonntag“ (waskrʲißʲénje) „Auferstehung“: Die Liebe überwindet Gewalt, Leid, Krieg und Tod. Die Liebe steht auf…
Was für ein Weckruf! Vielleicht wird es ja so gehen: Einen Schritt nach dem anderen und von Sonntag zu Sonntag leben.