21.02.2023
Schatten und Licht in der Passionszeit - Gastbeitrag von Landesbischof Friedrich Kramer

Teil 3 unserer Serie in der Passionszeit.

Passionszeit. 1984 in Prora in der Kaserne als Bausoldat. Gerade haben sie mir den Urlaub gestrichen. Nicht angepasst genug bin ich. Egal. Und ich schlage trotzig mein Gesangbuch auf und singe einen alten Passionschoral. Schon ein paar Tage habe ich gefastet. Die Welt voller Schuld und ein Jammertal. Und ich sehe aus dem Fenster auf das weite Meer der Ostsee und in die aufgehende Sonne. Da wird mir ganz tief in meiner Seele klar: Ja, so ist es. Karfreitag das ist die Wirklichkeit. Das ist jeden Tag so auf der ganzen Welt. Das Leiden und Morden und Demütigen und Verletzen – es findet ständig statt. Heute und überall. All unsere Bemühungen, es zu beenden, werden scheitern.

Niemand ist verloren

Wir können es nicht zum Guten wenden, und doch ist da einer, der hat es auf sich genommen. Gelobt sei Jesus Christus – in Ewigkeit Amen! Er hat es beendet, geduldig wie ein Lamm ohne Hass und Gewalt. Sanft und voller Liebe. Und meine Tränen fließen im Morgenrot der aufgehenden Sonne, und ich bin verzweifelt und voller Mitgefühl mit den Hunderttausenden, die heute auf dieser Welt leiden. Und in dem Schmerz bin ich doch dankbar und selig zugleich. Wir sind nicht verloren, niemand ist verloren. Denn: Christus ist geboren. Das übersteigt die Vernunft und meine Vorstellungen. Aber so ist es. Da bin ich mir ganz sicher.

Passionszeit. Ich singe wie jedes Jahr die alten Passionslieder und meditiere sie. Und ich bin erstaunt, wie mich die alten Texte anrühren. Die Tiefe der Einsicht in meine eigene Schuld erschüttert mich: „Was ist doch wohl die Ursach solcher Plagen? Ach, meine Sünden haben dich geschlagen; ich, mein Herr Jesu, habe dies verschuldet, was du erduldet“. Ist das nur dunkler Schatten einer in die Sünde verliebten Theologie, oder findet sich hier nicht das Licht der Befreiung aus der eigenen Sünde hin zu einem vom gekreuzigten Christus befreiten Leben? Je länger ich singe, umso sicherer bin ich. Hier ist Christus das Licht, das durch den Schatten der Sünde in ein neues Leben führt! Gott sei Dank!




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