03.06.2022
Themenwoche Juni 2022: Antifeminismus in Kirche und Gesellschaft - Mittwoch

Biblisches Check-up: Männerzentriert und starke Frauenfiguren

Im Umgang mit der Bibel machen Frauen seit jeher ambivalente Erfahrungen. Die meisten Schriften der Bibel – wie auch die meisten außerbiblischen Kulturzeugnisse dieser Zeit – sind geprägt von männerzentrierten Denkweisen. Männer und ihre Lebenserfahrungen werden als ,Normalfall‘ des Menschseins angesehen, und ihnen wird fälschlicherweise universale Gültigkeit zugesprochen: "Der Mann wird zum Maß alles Menschlichen“

Ebenso setzen biblische Texte zumeist die hierarchisch-patriarchalen Gesellschaftsformen ihrer Entstehungszeiten als selbstverständlich voraus. Das heißt, sie spiegeln eine „männlich bestimmte, abgestufte Pyramide von Unterordnung und Ausbeutung“, die neben Sexismus weitere Mechanismen der Abwertung und Unterdrückung von Menschen durch Menschen umfasst, etwa Rassismus, Klassismus, Abwertung anderer Religionen und Kulturen.

Viele biblische Texte lassen sich daher zur Rechtfertigung von Ideologien der Ungleichwertigkeit, vor allem einer Unterordnung ,der Frau‘ unter ,den Mann‘, nutzen, wenn man es denn möchte:

"Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, wie sich's gebührt in dem Herrn." (Kolosser 3,18)

"Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist, die er als seinen Leib erlöst hat." (Epheser 5,21)

"Wie es in allen Gemeinden der Heiligen üblich ist, sollen die Frauen in den Versammlungen schweigen; es ist ihnen nicht gestattet zu reden: Sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. Wenn sie etwas lernen wollen, dann sollen sie zu Hause ihre Männer fragen; denn es gehört sich nicht für eine Frau, in der Versammlung zu reden." (1. Korinther 14,33-35)

Solche und andere Textstellen gehören klar in das klassische System der Zeit, in dem die Texte (weitgehend von Männern) verfasst wurden und stellen die Sicht der Verfasser auf ihre Umwelt dar.

Die Bibel kennt jedoch auch befreiende Impulse und enthält unglaublich beeindruckende Geschichten über Frauen:

"Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus." (Gal 3,28)

Debora: Richterin und Prophetin Israels, hatte durch kluge Kriegstaktik die starke Armee der Kanaaniter besiegt (vgl Richter Kap 4,4).

Weitere Frauengestalten in der Bibel:

AT: Sara, Judit, Rut, Ester, Rahab, Debora und viele weitere

NT: Maria (davon gleich mehrere); Martha, Salome und viele mehr.

Im Neuen Testament folgten Jesus auch Frauen nach. Diese blieben auch bei ihm bis zum Tod am Kreuz, salbten ihn und besuchten seine Grabstätte.

Reminder:

  1. Die Bibel ist ein von Menschen geschriebenes Buch. Es enthält Glaubenswahrheiten und Erfahrungen von Menschen mit Gott.
  2. Die biblischen Geschichten spielen im Zeitraum von ca. 1500 v. Chr.-100 n. Chr. (schriftliche Verfassung immer Jahrzehnte oder Jahrhunderte später - voher mündliche Weitergabe) und setzen die hierarchisch-patriarchalen Gesellschaftsformen von damals voraus.
  3. "Du sollst dir kein Bild von Gott machen" ist schwer auszuhalten. Dennoch: Wir können Gott und sein Wort nicht in der Hand halten. Und das sollen wir auch gar nicht. Weder Gott hat die Bibel vom Himmel fallen lassen noch hat Jesus etwas Schriftliches hinterlassen.
  4. Ziel feministischer Bibellektüren ist, die Ambivalenzen biblischer Texte offenzulegen und die Bibel „so zu verstehen und zu interpretieren, dass sowohl ihre unterdrückende wie auch ihre befreiende Kraft klar erkannt werden kann“ (Strahm, 1987, 28f.).
  5. Die Bibel als antifeministisches Manifest zu lesen und zu vertreten, sagt immer mehr über die Person aus, die sie liest, als über die Bibel selbst.

 

Quelle: Sonja Angelika Strube, Feministische Bibelinterpretation (2019)