03.06.2022
Themenwoche Juni 2022: Antifeminismus in Kirche und Gesellschaft - Freitag

Ein Gastbeitrag von Antje Schrupp

Antje Schrupp 

Schon 1902 hat die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm ein Buch über „Die Antifeministen“ geschrieben, und es ist schockierend, wie aktuell es heute immer noch ist! Aber anders als vor hundert Jahren haben Frauen in Deutschland heute gleiche Rechte. Diskriminierung und Frauenfeindlichkeit werden deshalb nicht mehr offen zelebriert, sondern verstecken sich eher in Strukturen und scheinbar harmlosen Anzüglichkeiten und Alltagssexismus.

Gleichzeitig ist Antifeminismus zu einem Markenzeichen rechtsradikaler und populistischer Bewegungen geworden. Von Donald Trump bis zur AfD, von christlichen Fundamentalist*innen* bis hin zur Männerrechtsbewegung: Die Ablehnung von allem Feministischen ist ein verbindendes Element, das diese Gruppierungen einigt.

Leider ist die Kirche kein Teil der Lösung, sondern ein Teil des Problems. Wie eine aktuelle, von der EKD in Auftrag gegebene Studie zeigt, sind Menschen, die der evangelischen Kirche eng verbunden sind, zwar weniger rassistisch, antisemitisch und fremdenfeindlich als der Mainstream. Sie sind aber deutlich konservativer in Bezug auf Geschlechterrollen und lehnen sexuelle Vielfalt und feministische Forderungen eher ab.

Ich bin der Meinung, dass sich die Kirche diesem Thema offen widmen sollte. Dass das christliche Menschenbild eng mit patriarchalen Ideologien verwoben ist, hat ja vor allem historische Gründe, keine theologischen. Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus sind kein biblischer Auftrag – dazu haben feministische Theolog*innen* viel geforscht. Aber leider finden ihre Ergebnisse immer noch zu wenig Gehör in der Breite. Ganz im Gegenteil: Die EKD-Synode will sogar ihr „Zentrum Frauen und Männer“ abschaffen – obwohl es genau die so sehr benötigte Bildungsarbeit an der Basis macht! Aber angeblich haben wir in der Kirche ja Gleichberechtigung und brauchen sowas nicht mehr. Was für eine Fehleinschätzung!

Unterdessen sind antifeministische, rechtsradikale und auch dezidiert christliche Netzwerke überall auf der Welt sehr aktiv dabei, Rechte und Freiheiten von Frauen zurückzudrängen. Zum Beispiel ist es ihnen schon in vielen Ländern gelungen, ungewollt Schwangeren den Zugang zu legalen und sicheren Abtreibungsmöglichkeiten wieder zu verschließen. Vor allem arme und marginalisierte Frauen, die sich keine private Behandlung im Ausland finanzieren können, werden deshalb wieder häufiger bei unprofessionellen, heimlich durchgeführten Abtreibungen verletzt oder sterben sogar.
Antifeminismus bedroht nicht nur die Freiheit von Frauen und trans Personen. Antifeminismus gefährdet den Kern liberaler und demokratischer Gesellschaften. Wer ihn nicht aktiv bekämpft, macht sich mitschuldig.

Hedwig Dohm

 

Die Schriftstellerin und radikale Frauenrechtlerin Hedwig Dohm veröffentlichte 1902 im Alter von 70 Jahren ihre Essay-Sammlung „Die Antifeministen“. Darin setzte sie sich sarkastisch mit frauenfeindlichen Autoren und Ideologien auseinander und entwarf eine Typologie antifeministischer Argumentationslinien, die im Wesentlichen auch heute noch zutrifft.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Begriffserklärungen:

Unter dem Begriff "Antifeminismus" wird oft vieles zusammengerührt. Es ist aber sinnvoll, verschiedene Aspekte zu unterscheiden:

**Sexismus**: Klischees und Vorurteile über Frauen, zum Beispiel dass sie schwächer oder emotionaler sind, dass sie kein Interesse an Mathe haben oder nicht für Machtpositionen geeignet sind.

**Antifeminismus**: Politische Bewegung zur Abwehr feministischer Forderungen, zum Beispiel nach mehr Einfluss, Ressourcen und Rechten für Frauen.

**Misogynie**: Frauenfeindliche Einstellung, wonach Frauen den Männern und der Gesellschaft bestimmte Dinge schulden, zum Beispiel Freundlichkeit, Sex, Kindergebären, uneigennützige Sorgearbeit. Misogynie unterscheidet zwischen „guten“ und „schlechten“ Frauen.
(Zum Thema Misogynie ist sehr lesenswert das Buch von Kate Manne: Down Girl. Die Logik der Misogynie, Suhrkamp)

**Anti-Genderismus**: Ein in den 1990er Jahren entstandener Begriff, der sich gegen die Kritik an traditionellen Geschlechterkonzepten richtet. Er unterscheidet zwischen „gutem Feminismus“ (der sich auf gleiche Rechte und Emanzipation beschränkt) und „schlechtem Feminismus“ (der zu radikal und weitgehend ist, eben „Gender-Gaga“).
(Dazu sehr lesenswert das Buch „Anti-Genderismus in Europa. Allianzen von Rechtspopulismus und religiösem Fundamentalismus, Herausgegeben von Sonja A. Strube und anderen bei Transcript)


Weiterführende Links zum Thema:

Queeres Christentum:
Neben frauenfeindlichen gibt es auch Spuren in der christlichen Geschichte, die feministisches und queeres Potenzial haben.
In diesem Artikel hab ich mal aufgeschrieben, warum vor allem die Figur der Maria auch als queere Ikone gelesen werden kann! https://www.zeit.de/kultur/2020-12/jungfrau-maria-jesus-christentum-weihnachtsgeschichte-patriarchat-feminismus-geschlechter-stereotype

Ein besonderes Problem ist auch, dass Gott im Christentum fast ausschließlich mit männlichen Bildern dargestellt wird, als Vater, Richter und vor allem als „Herr“. Das ist ein maßgebliches Einfallstor für christlichen Antifeminismus. Deshalb meine ich, der alte Mann mit dem weißen Bart hat ausgedient, und wir sollten uns Gott bewusst als Frau vorstellen – allein schon um gegenzusteuern! https://www.freitag.de/autoren/antjeschrupp/mutter-unser

Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass sich das Christentum so viel mit Sex beschäftigt hat? Dafür gibt es, glaube ich, tatsächlich theologische Gründe, denn die frühe Kirche musste die Bedeutung der geburtlichen, männlichen, also geschlechtlichen Natur Jesu klären. Hier ein Text, in dem ich darüber schreibe: https://gottundco.com/2022/05/19/warum-sexualitat-im-christentum-so-wichtig-ist/