02.12.2022
Themenwoche November - Kirche und Rassismus - Freitag

"Wie haben wir es eigentlich geschafft, selbst den Herrn Jesus als weißen christlichen Mitteleuropäer darzustellen?" (Sarah Vecera)

Aus der Bibel wissen wir nicht viel über Jesu Aussehen, aber die Forschung hat sich damit beschäftigt, und demnach entsprach Jesu Erscheinungsbild in etwa den Menschen, die im heutigen Irak leben. Die ersten überlieferten Christusdarstellungen stammen aus dem 3. Jahrhundert aus römischen Katakomben. Dort wurde Jesus als guter Hirte dargestellt: mit weißer Haut, Tunika und kurzem lockigen Haar - ganz römisch eben. So zog es sich dann bis ins Mittelalter. Jesus bekam das Gesicht der dominierenden Herrschaftstruktur aufgedrückt. Und diese war mehrheitlich weiß. Die Funktion stand im Mittelpunkt, weniger die möglichst realistische Darstellung.

Die Kolonialzeit bot dann den Nährboden für den Höhepunkt der Aneignung Jesu, als die Nationalsozialisten Jesus als "Arier" darstellten.

"Es waren europäische Missionare, die den weißen Jesus in die Welt trugen. Die weiße Haut diente dazu zu untermauern, dass weiß herrscht und andere folgen. Hätte der liebe Gott so ausgesehen wie die Unterdrückten, hätte dies zu Irritationen führen können."

Jesusbilder, die einen Jesus of Color darstellten, blieben also die Ausnahme. Bis heute sind auch in den Kirchen Afrikas und Asiens Bilder des weißen Jesus dominierend.

"Das Bild eines weißen Gottes steht im Gegensatz zu der schwarzen Symbolik des Bösen,  (...) Im Prinzip geschah mit Jesus genau das, was gernell zur Kolonialzeit geschah: Jesus wurde inkulturiert, ohne zu benennen, dass dies passierte. Es wurde als Standard und Wahrheit verkauft. Das Christentum wurde instrumentalisiert und hat sich instrumentalisieren lassen."

Bis heute ist viel dieser rassistischen Strukturen in unseren Kirchenliedern, Bildern und in unserer Sprache erhalten. Diese Strukturen zu benennen und aufzudecken wird ein langer Prozess, den wir alle mitgestalten können. Denn weiß wurde Jesus nun wirklich lange genug dargestellt - es braucht dringend neue Bilder in unseren Köpfen.  

(Text nach "Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus." von Sarah Vecera, Patmos-Verlag 2022)