06.12.2022
Tamar, Rahab und Ruth: Drei besondere Frauen in der Bibel

In den nächsten Wochen bis Weihnachten wollen wir uns drei besonderen Frauen in den biblischen Geschichten widmen. Sie sind neben Maria die einzigen Frauen, die im Stammbaum Jesu namentlich erwähnt werden (Matthäus 1).

Und ihr Vorkommen ist überraschend, wohltuend und gleichzeitig brisant. Lasst euch überraschen.

Im antiken Judentum war die Ahnenreihe wichtig für das Ansehen einer Person. Frauen kamen selten vor und wenn doch, dann nur, weil sie besonders berühmt waren.

Anders die Frauen in der Ahnenreihe Jesu. Diese drei Frauen eint, dass sie NICHT die großen und bekannten Matriarchinnen der alttestamtentlichen Geschichten waren. Sie sind unerwartet und stellen Jesu Botschaft, gesellschaftliche Grenzen zu überwinden, als tief verwurzelt in seiner Herkunft dar und Jesus als wahrhaft menschlich: Als Teil einer Familiengeschichte, in der nichts verschwiegen wird und in der dem Unscheinbaren und Verachteten besondere Bedeutung und Würde zukommt.


Tamar:

"Juda aber zeugte Perez und Serach von der Tamar" (Matthäus 1,3)

Tamar war die Frau von Er, dem ältesten Sohn von Juda (Genesis 38). Als Er kinderlos stirbt, heiratet sie dem damaligen Brauch entsprechend seinen Bruder. Als auch dieser kinderlos stirbt, hätte Tamar mit dem jüngsten Sohn verheiratet werden müssen. Denn jeder Mann hatte die Verpflichtung, für einen kinderlos verstorbenen Bruder stellvertretend Nachkommen zu zeugen (so genannte Leviratsehe). Diese galten dann rechtlich als Kinder und Erben des Verstorbenen. Doch Juda (ihr Schwiegervater) zögert die Hochzeit hinaus, denn Tamar scheint ein Fluch für seine Söhne zu sein. Damit verweigert er Tamar nicht nur ihr eigenes Recht auf eine Familie, sondern er entzieht ihr damit jede Grundlage für ihr Leben. Frauen hatten damals kaum Rechte und waren wirtschaftlich völlig abhängig von ihren Männern.

Tamar

Tamar fordert sich also durch eine List ihr Recht ein: Sie verkleidet sich als Prostituierte und sorgt dafür, dass ihr Schwiegervater zu ihr kommt. Als sich herausstellt, dass Tamar schwanger ist, soll sie wegen "Unzucht" zum Tod verurteilt werden. Denn als (unverheiratete) Witwe hätte sie keinen Sex haben dürfen. Dieses Todesurteil spricht übrigens Juda selbst! Doch Tamar kann beweisen, dass Juda der Vater ihrer Kinder ist und dieser erkennt, dass er seiner Schwiegertochter gegenüber im Unrecht ist, hebt das Todesurteil auf und nimmt sie zu sich.

Diese Geschichte klingt heute sicher einfach grausam. Ist sie auch. Gleichzeitig ist sie historisch ein Spiegel der damaligen Verhältnisse, und in denen lag "Schuld" in der Regel auf Seiten der Frauen. Umso spannender, dass Tamar namentlich in der Ahnenreihe Jesu vorkommt. Eine ausländische, nicht berühmte Frau mit dubiosem Ruf, die doch gerechter war als der jüdische Stammvater Juda.

An Weihnachten wird das Starke im vermeintlich Schwachen deutlich: in den Ausgegrenzten, in denen, die am Rand stehen und zu Unrecht verurteilt werden, die rechtlos sind und verachtet werden. An ihrer Seite steht Christus. Ihre Geschichte ist auch seine.

 



Rahab:

"Salmon zeugte Boas mit der Rahab." (Matthäus 1,5)

Es geht weiter mit den spannenden Frauen in der Ahnenreihe Jesu. Heute mit Rahab (Josua 2 & 6).

Rahab war nach biblischer Überlieferung eine Prostituierte, die zur Zeit der Landnahme Israels in der Stadt Jericho lebte. Sie versteckt unter ihrem Dach die Spione von Israel, welche die Stadt Jericho auskundschaften wollen. Als Nicht-Jüdin bekennt sie sich dabei zum Gott Israels und erbittet die gleiche Barmherzigkeit an sich und ihrer Familie, die sie den Spionen hat zukommen lassen. Denn sie weiß darum, dass die Stadt fallen wird. So wird Rahab, ihr Hab und Gut sowie ihre Familie verschont bei der Zerstörung Jerichos und "sie blieb in Israel wohnen bis auf diesen Tag, weil sie die Boten verborgen hatte, die Josua gesandt hatte, um Jericho auszukundschaften." (Josua 6,25)

Rahab

Die biblische Landnahmegeschichte Israels ist blutig und grausam. Für uns heute kaum mit dem Bild eines liebenden und friedenstiftenden Gottes zu vereinbaren. In damaliger Zeit verband sich mit dieser vermeintlich göttlichen Legitimation einer kriegerischen Einnahme allerdings der Anspruch auf das "Heilige Land". Umso erstaunlicher, dass diese "heilige" Geschichte mit dem Schicksal einer Prostituierten verbunden wird, die zur Retterin für das Gottesvolk wird. Eine nicht-jüdische Frau, die einen fragwürdigen sexualethischen HIntergrund hat und doch als Symbol für großes Gottvertrauen gilt und willkommen geheißen wird als Teil des Volkes Gottes.

So bekommt Rahab nun ihren namentlichen Platz in der Ahnenreihe Jesu. Hier wird deutlich, dass weder Geschlecht, ethnische Herkunft, gesellschaftlicher Ruf noch vorausgehende moralische Lebensführung darüber entscheidet, wer zu Christus gehört. Die Geschichte und Botschaft Jesu sprengt alle gesellschaftlichen Grenzen, damals und heute.

 

 

 


Ruth:

"Boas zeugte Obed mit der Ruth" (Matthäus 1,5)

Die dritte namentlich genannte Frau in Jesu Ahnenreihe ist Rut. Sie hat gleich ein ganzes Buch im Alten Testament bekommen. Erstaunlich, denn sie war eine Moabiterin und jene waren bei Juden zur damaligen Zeit absolut verpönt - moabitische Frauen verführten vermeintlich die jüdischen Männer zur Gotteslästerung (Num 25,1-2), und das schuf einen Präzedenzfall, der so schnell nicht vergessen wurde.

Ruth

Rut war die Schwiegertochter Noomis. Noomis Mann Elimelech war mit ihr und ihren beiden Söhnen wegen einer Hungersnot aus Bethlehem in Juda ins benachbarte Moab ausgewandert. Bald danach war Elimelech gestorben. Die Söhne hatten zwei moabitische Frauen geheiratet, Rut und Orpa. Zehn Jahre später, nachdem auch die Söhne gestorben sind, bleibt Noomi als Witwe mit ihren nun ebenfalls verwitweten Schwiegertöchtern zurück. Kinder gibt es nicht. So entscheidet sich Noomi nach Bethlehem zurückzukehren, denn die Hungersnot dort war vorrüber, und ihr blieb in Moab nichts mehr. Ohne Mann und Nachfahren war sie mittellos.

Sie möchte alleine gehen und ihren Schwiegertöchtern ihr Schicksal ersparen. Sie sollen bleiben und sich neue Männer suchen und eine Familie gründen. Doch RUT entscheidet sich dagegen. "Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott." (Rut 1,16) So wandern beide Frauen nach Bethlehem, und nach vielen Unsicherheiten und Hürden findet Rut in Boas ihren Ehemann. Sie bekommen viele Kinder, und Rut nimmt Noomi zu sich.

Bis heute steht Rut im Judentum und Christentum für großes Vertrauen und ungebrochene Loyalität.

Tamar, Rahab und Rut, drei ungewöhnliche Frauen, die als Vorfahrinnen Jesu die Weihnachtsgeschichte im Matthäusevangelium eröffnen. Sie sind unerwartet und stellen Jesu Botschaft, gesellschaftliche Grenzen zu überwinden, als tief verwurzelt in seiner Herkunft dar und Jesus als wahrhaft menschlich: Als Teil einer Familiengeschichte, in der nichts verschwiegen wird und in der dem Unscheinbaren und Verachteten besondere Bedeutung und Würde zukommt.